"Wagner läßt Kurwenal im ersten Akt mehrere Male auftreten, zum letzten Mal nach einer längeren Pause zum Ende des Akts, wenn er seinem Herrn Tristan die Ankunft König Markes verkündet. (...) Im Teatro Colón [Buenos Aires] muß man wissen, daß bei den riesig ausgedehnten Raumverhältnissen die Sänger zum Teil unglaublich weite Wege von ihrer Garderobe zur Bühne zurücklegen mußten, und die Verständigung zwischen Garderobe und Bühne ist nur mittels Lautsprechern möglich. Der zuständige Inspizient muß also seine Durchsage an die Solisten frühzeitig geben, damit diese den weiten Weg bis zur Bühne rechtzeitig antreten können. Ich saß in meiner Garderobe, und als mir in der bewußten Vorstellung die Zeit für den letzten Auftritt gekommen schien, machte ich mich auf dem Weg. Bei der Bühne angekommen, stellte ich mit nicht gelindem Schrecken fest, daß der Vorhang bereits gefallen war - ich meinen Auftritt also versäumt hatte. Mit der Lautsprecheranlage muß wohl irgend etwas nicht gestimmt haben. Auf der Bühne herrschten größte Aufregung und wildes Geschrei, in das ich voller Erregung einstimmte, als sich plötzlich ganz ruhig eine Hand auf meine Schulter legte. Es war Erich Kleiber [der Dirigent], der liebeswürdig und freundlich sagte: 'Aber so regen Sie sich doch nicht so auf. Das ist nun mal passiert und ist vorbei. Aber denken Sie daran, daß Sie noch Ihren dritten Akt vor sich haben, auf dem ich mich schon freue. Gehen Sie jetzt in ihrer Garderobe, und beruhigen Sie sich bitte.' Ich war verwirrt und glaubte, mich verhört zu haben - ein anderer Dirigent hätte in dieser Situation wohl einen Tobsuchtsanfall bekommen."

(Hotter, Hans 1996, S. 205-6)