Marchesi, Blanche, Sopran, * 4.4.1863 Paris, 15.12.1940 London;
sie war die Tochter eines berühmten Sänger-Ehepaars. Ihre Mutter
Mathilde Marchesi de Castrone, geb. Graumann (* 1821 Frankfurt a.M.,
1913 London) galt als größte Gesangspädagogin ihrer Epoche;
ihr Vater, Salvatore de Castrone, Marchese della Rajata (1822-1908), hatte
sich, nach erfolgreicher Tätigkeit im Konzertsaal, in Paris zusammen
mit seiner Gattin als Pädagoge niedergelassen. Blanche Marchesi studierte
anfänglich Violinspiel, wurde dann aber durch ihre Mutter zur Sängerin
ausgebildet. (Diese hatte ihr ursprünglich von einer Sängerlaufbahn
abgeraten). Sie half ihrer berühmten Mutter dann als Assistentin.
Erst im Alter von 32 Jahren debütierte sie 1895 in Berlin, danach
in Brüssel, als Konzertsängerin. 1896 gab sie Konzerte in Paris
und London. Sie verlegte dann ihren Wohnsitz nach London, wo sie sich
als geschätzte Gesangslehrerin betätigte. Sie begann jetzt aber
auch eine Karriere auf der Bühne. Sie debütierte 1900 am Deutschen
Theater in Prag als Brünnhilde in der »Walküre«.
1902 gastierte sie an der Covent Garden Oper London als Elisabeth im »Tannhäuser«,
als Elsa im »Lohengrin« und als Isolde im »Tristan«.
Sie trat auch bei der Moody-Manners Opera Company in England auf, hatte
aber ihre großen Erfolge vor wie nach im Konzertsaal. Sie gastierte
1904 am Deutschen Theater Prag, an der Covent Garden Oper London 1903
als Gioconda von Ponchielli, am Théâtre de la Monnaie Brüssel
1904 als Elisabeth im »Tannhäuser«. Als gefeierte Konzert-
und Oratoriensolistin hörte man sie in den Musikzentren in England,
Deutschland, Frankreich und Nordamerika. Sie trat in Hofkonzerten vor
Königin Victoria von England und vor dem deutschen Kaiser Wilhelm
II. auf. Königin Victoria von England zeichnete sie mit der Diamond
Commemoration Medal und mit dem Victoria House Order aus. Zu ihren Schülerinnen
gehörte die schwedische Wagnersängerin Ellen Gulbranson, über
die es zu Differenzen mit ihrer Mutter kam (die deren Stimme für
einen Alt hielt, während Blanche Marchesi sie zu einem dramatischen
Sopran ausbildete). Weitere Schülerinnen waren Muriel Brunskill,
Phyllis Archibald, Blanche Tomlin und Joy McArden. Nach dem Ersten Weltkrieg
unterrichtete sie in Paris, kam aber 1930 wieder nach London zurück.
Die Schönheit ihrer Stimme blieb ihr ungewöhnlich lange erhalten;
zu ihrem 75. Geburtstag gab sie in London nochmals ein Konzert. Sie war
(in zweiter Ehe) mit dem Baron André Anzon Caccamisi verheiratet.-
Ihre Stimme, die ganz nach der klassischen Methode ihrer Mutter ausgebildet
war, wurde durch eine souveräne Beherrschung der Technik, durch Reinheit
der Tongebung und durch eine vollendete Phrasierungskunst ausgezeichnet.
Ihre ersten Schallplatten erschienen auf G & T (Berlin, 1906). Auf
Drängen von Leo Riemens ließ die 73jährige Sängerin
1936 ihre Stimme (in elektrischer Technik) in London nochmals auf HMV aufnehmen.
Diese Aufnahmen zeigen ihre Stimme in großer Schönheit. Es
handelt sich dabei um Didos Klage aus »Dido and Aeneas« von
Purcell, eine Arie aus Händels »Heracles« und sechs Lieder,
darunter »Nun wandre Maria« von Hugo Wolf und »Mariä
Wiegenlied« von Max Reger.
Lit.: Ihre Lebenserinnerungen erschienen unter dem Titel »Singer's
Pilgrimage« (London, 1923), außerdem veröffentlichte
sie ein Lehrbuch »The Singer's Catechism« (London, 1932).
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