"...Höchste Lust!"

Ein Versuch über den Liebestod,

aus der Oper "Tristan und Isolde", von Richard Wagner

(Text available in German only! Texto infelizmente só em alemão!)

Grußwort

Geschichtliche Hintergründe

Der Liebestod

Die "Hochdramatische" Stimme

Konserve: der Liebestod in Aufnahmen


Über den Liebestod zu sprechen bedeutet, sich mit dem Ende einer Oper zu beschäftigen, mit den letzten Minuten, in denen Isolde ihre Liebe zu Tristan in Verklärung preist, bevor sie ihm in den Tod nachfolgt. Wie soll man also am besten beginnen? Ist es wichtig, die Geschichte der Oper vorher zu erklären? Oder ist "die Geschichte hinter der Geschichte" wichtiger? Vielleicht wäre es angemessen, über/durch die mittelalterliche Sage von Tristan und Isolde eine Brücke zu dem Stück zu schlagen? Wäre es sinnvoll, dieses Werk im Hinblick auf die Entwicklung der Oper und das Leben des Komponisten zu betrachten und zu verstehen? Wie kann man die sinnliche Wahrnehmung zum Ausdruck bringen, die Innigkeit begreifbar machen, die man in dieser letzen, im Piano angefangenen Arie hört, die eine Welt für sich bedeutet?

Ich habe mich dafür entschieden, in diesen Essay all diese Elemente einzubeziehen, die direkt oder indirekt einen Beitrag zum vollständigen Verständnis dieser Oper leisten, in der Hoffnung, daß dadurch der Liebestod in all seinen Schattierungen und Nuancen faßbar wird - was dem Leser, und vielleicht dem späteren Hörer unsere Leidenschaft verständlicher machen kann. So wird hier die Operngeschichte vorkommen und erklärt, die Motivation Richard Wagners, diese Oper zu komponieren, die Rollen - vor allem selbstverständlich die der Isolde, die den Liebestod singt -, wie auch die Herausforderung dieser Partie beleuchtet, die nach einer "Hochdramatischen" Stimme verlangt, und was eine "Isolde" ausmacht.

 


Geschichtliche Hintergründe

Richard Wagner hat Tristan und Isolde einmal als "eine (einzige) Liebesszene" bezeichnet. Das Werk nannte er nicht "Oper", sondern "Drama": "Handlung in drei Aufzügen". Die Motivation, die Oper zu komponieren, geht auf Mathilde Wesendonck zurück, Frau seines Mäzens und Gönners Otto Wesendonck, in die er sich heftig verliebte (und die ihn anscheinend ebenfalls liebte). Wagner stand schon damals in Kontakt mit dem Werk Schopenhauers (der übrigens schon im Jahr 1854 den Komponist auf den Stoff aus dem keltischen Sagenkreis aufmerksam machte), das stark vom nihilistischen Denken (Erfüllung im Tod) geprägt ist, eine philosophische Richtung, die als Mittel zur Erlösung die vollkommene Negation des Lebenswillens zur Maxime erhebt. Dieser (sublimierten) Liebe, dem "schönsten aller Träume" wollte er "...ein Denkmal setzen", wie es in einem Brief an Liszt geschrieben steht, und fand in der Erzählung aus dem Mittelalter, des größten aller Liebesdramen, den richtigen Stoff dafür. Die Dichtung war am 18.September 1857 fertig gestellt, zwei Jahre später schließt er die Komposition ab. Die Uraufführung der Oper in München fand jedoch erst 1865 statt..

Die letztlich unerfüllte Liebe zu Mathilde Wesendonck ist der Motor, der ihn voran treibt, dieses Werk zu schreiben, und dadurch gelingt es ihm, seine Gefühle zu verarbeiten, und privat für sich zu überwinden - es bedeutet für ihn das praktische Erleben der Schopenhauerschen Gedankenwelt. So schrieb er an Mathilde aus Venedig, wo er den zweiten Akt komponiert hat: "Wo wir sind, sehen wir uns nicht; nur, wo wir nicht sind, da weilt unser Blick auf uns..." Am 21.Dezember 1861 schreibt er erneut in einem Brief an sie: "Daß ich den Tristan geschrieben, danke ich Ihnen aus tiefster Seele in alle Ewigkeit." Wie traurig ist Tristan? Cosima Wagner berichtet in ihrem Tagebuch, Wagner habe gegen Ende seines Lebens seinen Lohengrin als das traurigste seiner Werke bezeichnet. Denn Tristan behandelt das unerschöpfliche Thema von der Spannung zwischen Leben und Tod - Der neue, romantische Mensch verlangt immer mehr nach dem Recht, für sich persönlich Entscheidungen zu treffen, gelöst von moralischen und gesellschaftlichen Konventionen.

Natürlich muß man sich vor Augen halten, daß Wagner in einem Zeitalter der Auflösung und des Umbruchs lebte - alle bis dahin geltenden Sozialregelungen und die bekannte Weltordnung brachen zusammen: "Ja, die alte Welt, sie geht in Trümmer", schrieb er einem Freund. Er wollte durch seine Kunst (z.B. Der Ring des Nibelungen) aktiv Teil haben am zeitgenössischen Geschehen, und musste zeitweise deswegen aus Deutschland fliehen. Die politische aufgewühlte Gegenwart hat ihn, wie auch andere romantische Komponisten dazu bewogen, sich in die Welt des Wunderbaren, der Sagen und Legenden, des Mittelalters und des Orients zurückzuziehen, die keinen Bezug zur unmittelbaren Gegenwart herstellt. Bei Tristan ist Wagner jedoch weit entfernt von der Welt der Zwerge, Tiere, Drachen und sonstiger Wesen, die seine andere Werken bewohnen, um sich hier auf die Menschen zu konzentrieren.

Tristan und Isolde folgen ihrer persönlichen Entscheidung, sich zu lieben. Es geht in dieser Oper um die unmögliche Liebe, die ihre Verwirklichung nur im Tod finden kann, da es Tristan und Isolde von der Weltordnung nicht gegönnt wird, sich ihrem inneren Drang zu ergeben. Alle andere Figuren der Oper, die das Paar umgeben, bleiben Statisterie: Brangäne hat nur so viel Teil am Geschehen, wie sie der die Maßstäbe setzenden Liebestat assistiert. Fast noch ausgeprägter hat Kurwenal nur die Möglichkeit, die Wünsche seines Herrn zu seinen eigenen zu erklären. Melot, der das Geschehen vorantreibt, kommt in der musikalischen Handlung praktisch nicht vor, ist kein ernsthafter Gegenspieler, sondern kaum mehr als ein mechanischer Intrigant. Auch König Markes Betroffenheit über Tristans Betrug klingt nicht wie eine kämpferische Anklage, ist vielmehr eher die Irritation eines aus dem Reich der Schönheit und der Liebe Ausgeschlossenen. Durch die uneingeschränkte Liebe des Paares versteht auch Wagner dieses Gefühl als etwas Absolutes und Totales.

Es war das erste Mal in der Geschichte der Oper, daß die Handlung den inneren Zuständen der Protagonisten Platz einräumen mußte: es "passiert" zwar nicht viel auf der Bühne, die Musik aber läßt den Zuhören in die Seele der Liebenden blicken. In diesem Werk bewegte sich Wagner im Grenzbereich der Tonalität; fast seismographisch zeichnen seine kühnen Harmonien die Seelenzustände des Protagonistenpaares nach, Leitmotive schlüsseln die inneren Zusammenhänge zärtlich auf. Das Drama verlagert sich in die Musik, vordergründige Aktion findet in der schlichten Oper kaum noch statt. Auch sprachlich bringt die Oper etwas Neues: daß das Paar sich auch durch Wörter ineinander verschmilzt: fast gelallte, sinnlose Sätze als Dialoge wie "Ich, Isolde, Du Tristan!" "Ich, Tristan, Du Isolde" verstärken diesen Eindruck.

Völlig neuartig ist die musikalische Sprache des Tristan: Die Idee des "Musikdramas" ist erstmals restlos durchgeführt und in vollkommener Weise verwirklicht - Musik als Handlung also, jener merkwürdige Widerspruch zwischen konkretem Orchesterkommentar und rätselhafter Expression - Trotz der überaus markant angelegten Gesangstimmen ist es dennoch das Orchester, das alle seelischen Regungen der handelnden Personen widerspiegelt, es weiß immer Bescheid, immer bringt es das zum klingen, was S. Freud später das unbewußte "Es" nennen wird. Die durchkomponierte Großform wird von Motiven, den Themen der Liebes- und Todessehnsucht, getragen; eine neuartige Kompositionsform, welche beim Hörer einen Rauschzustand erzeugt. Insgesamt gibt es rund dreißig Leitmotive, auf denen der symphonisch-polyphone Orchestersatz aufgebaut ist. Typisch für die Tonsprache des Tristan ist die ausgeprägte Chromatik, die mit teilweise schärfsten Dissonanzen einhergeht und die einfache Dur- und Molltonalität weitgehend aufhebt. Bis zum Ende der Tragödie gibt es keine "friedliche" Auflösung der schmerzlich bohrenden Harmonie; selbst die Schlüsse des ersten und zweiten Aktes enden mit offenen, die unerfüllte Leidenschaft des Liebespaares anzeigenden Klängen. Erst im Tod der beiden Titelhelden - der Liebestod - läßt Wagner die tonale Auflösung aller das Werk durchziehenden Spannungen folgen. Richard Strauss nennt Tristan die "höchste Erfüllung einer zweitausendjährigen Entwicklung des Theaters".

Inszenierungen: "Beim Tristan muß man rücksichtslos die Innenwelt ausbreiten. (...) Mit Aktion, mit Berührungen, körperlicher Nähe zerstört man, was in dieser Oper erzählt wird. (...) Hierzulande (in Deutschland) ist eine Inszenierung immer eine Antwort auf die Konzeption eines Anderen. In Amerika ist das unschuldiger. Da mußt du zunächst das Stück erzählen, alles andere ist nicht so wichtig." (Dieter Dorn)

 


Der Liebestod

 

Gerne liest man die Anweisungen Lilli Lehmanns (in blau) und Anna Bahr-Mildenburgs (in grün) zur Gestaltung des Liebestods der Isolde im dritten Akt, und wie dabei das Stück gesungen werden soll; man kann sich plastisch vorstellen, wie die großen Vertreterinnen diese Partie gestaltet haben, und spürt den Hauch der vergangenen Zeit:

"...Nochmals versucht Brangäne, ohne Isolde zu belästigen, sie durch zärtliche Zusprache zu retten. Isolde hebt auf das Liebesmotiv leise den Kopf; teilnahmslos für die Umgebung, scheint sie nichts mehr zu gewahren. Brangäne darf sie nun nicht berühren. Während sie Isolden klar zu machen sucht, wie der König, von allem unterrichtet, gekommen sei, sie dem Freunde zu vermählen, hat sich Isolde in Tristans Anblick versenkt. Bei der Wiederholung des Motivs durchzuckt es ihren Körper bereits ekstatisch. Sie kniet. Hände und Arme haben eine sprechende Bewegung angenommen. ("Sprechende Bewegung", wenn auch die äußere Unterstützung der innern seelischen Erregung, durch Hände, Arme, Kopf- und Körperhaltung deren Lebendigkeit, d.h. Elastizität aus der innern Vorempfindung zur Tätigkeit mit herangezogen wird. Wenn ich also z.B. schweben möchte, muß ich mit den Gedanken schon meine Muskeltätigkeit in Bewegung setzen, Hände und Arme langsam in flügelartige Stellung bringen, das Schwebende des Gedankens in meine Muskeltätigkeit umsetzen und dermaßen zur Darstellung bringen.) Der Übergang von Empfindung zur Sprache vollzieht sich kaum merklich, Wort und Melodie schmelzen weich und leise ineinander."

"...Nach Markes letzten Worten, richtet Isolde, die sich bis jetzt nicht gerührt hat, langsam den Kopf auf. Ihre Augen sind unbeweglich in sanfter Starrheit auf Tristan gewandt. Nach "zuzuführen den Freund" hebt sie wieder etwas den Oberkörper, der bis jetzt über Tristan gebeugt war. Von da ab richtet Isolde in sehr langsamer, aber steter Bewegung sich auf, ihre Augen blicken in ‚wachsender Begeisterung auf Tristans Leiche'. - Sie könnte sie natürlich geradeaus auf irgendeinen anderen Punkt richten, denn es ist ja nicht mehr Tristans Körper, den sie sieht und der ihre Augen zu überirdischen Sehen weitet."

"Mild und leise (ohne Bewegung.)

wie er lächelt,
wie das Auge hold er öffnet -
seht ihr's, Freunde? Säh't ihr's nicht?

(geheimnisvoll verklärt, ohne jemanden anzusehen)

Immer lichter wie er leuchtet,
stern-umstrahlet hoch sich hebt?

(richtet sie sich ganz auf, wie emporgezogen, ganz unkörperlich ohne irgendeine Bewegung)

Seht ihr's nicht?

Bei "immer lichter wie er leuchtet" kniet sie nur noch mit dem linken Knie und schwingt sich bei: "Stern umstrahlet hoch sich hebt" fast schwebend, leicht empor. Hände und Arme unterstützen bis zum Schluß das Schwebende ihrer Stellung. Von der Weihe des Todes verklärt, scheint sie die Erde bereits entrückt.

Wie das Herz ihm mutig schwillt,
voll und hehr im Busen ihm quillt?
Wie die Lippen, wonnig mild,

(sehr zart, sehr ruhig in seliger Entrückung, die Augen unverwandt auf Tristan gerichtet.)

süßer Atem sanft entweht -
Freunde! Seht!
Fühlt uns seht ihr's nicht?
Höre ich nur diese Weise, die so wundervoll und leise,

(Nach den Worten: "Höre ich..." keine Temposteigerung mehr. In wunderbar gleichmäßiger Bewegung muß Musik und Gesang dahingleiten, nur in wachsender Fülle in immer mächtigerem Durcheinanderwogen. Isoldes Bewegungen sollen sowohl etwas ganz Ungewolltes, als auch Unkörperliches haben. Ihre sich wie schwere Flügel seitlich weit hinausdehnenden Arme werden wie von unsichtbarer Last niedergedrückt, die Hände hängen kraftlos, matt herab (Handflächen zur Erde gerichtet). Es ist ein Doppelspiel: das Ringen des erdgebundenen, erdhaftenden Körper mit der, dem irdischen Sein entstrebenden, sich davon loslösenden, befreienden Seele)

Wonne klagend, alles sagend,
mild versöhnend aus ihm tönend,
in mich dringet, auf sich schwinget,
hold erhallend um mich klinget?
Heller schallend, mich umwallend.

(Sie scheint wie getragen und umdrängt von überirdischen Klängen, in deren Durcheinanderwogen sich ihre Seele sehnend und lechzend hineindehnt. In immer seligeren Entzückungen scheint ihr Geist mit aller Macht die Erdenfesseln lösen zu wollen.)

Sie sieht erst von Tristan fort, in die Höhe (bei):

Sind es Wellen sanfter Lüfte?
Sind es Wogen
wonniger Düfte?
wie sie schwellen, mich umrauschen
soll ich atmen, soll ich lauschen?
Soll ich schlürfen, untertauchen?
Süß in Düften mich verhauchen?

Nach und nach reckt sie sich, und breitet die Hände und Arme wie ein Vogel seine Schwingen breitet, zu geisterhafter Höhe empor, alles in ihr wächst mit ihren Wörten, als sehne sie sich nach Auflösung:

In den wonnigen Schwall,
in dem tönenden All,
in des Welt-Atems wehendem All -

(In einem ungeheuren Gewaltigen Aufschwung, der die Unendlichkeit zu durchdringen strebt, hebt sich ihre Seele erdenbefreit empor.)

(Immer noch schwebend, läßt sie sich während des nächsten langsam auf das rechte Knie nieder)

Ertrinken -

(Bei "ertrinken", sinkt Isolde ersterbend in die Knie. Die Arme gleiten schlaff an den Seiten herunter, der Kopf ins wie emporgezogen im Erschauen einer überirdischen Erscheinung, die Augen sind in ekstatischer Verklärung geweitet.)

Versinken -
Unbewußt -
höchste Lust!

Wenn ihre letzten Worte verklungen, rundet sich ihr rechter Arm weich um Tristans Haupt, und ihre Wange schmiegt sich jungfräulich an die seine, während ihr Körper sich neben dem seinen streckt. Sie schließt die Augen und vollendet mit der letzten Note".

(Nach ihrem letzen Ton, gleitet Isolde in sanfter Lösung der Glieder herab und Brangäne umfängt sie. [Brangäne vermeide alle Liebesbezeugungen und alle Bemühungen um Isolde, denn es wirkt nüchtern und störend].)

 

 

Lehmann, Lilli - "Studie zu Tristan und Isolde von Lilli Lehmann" (jahr: 1906) Herrosé & Ziemsen, Wittemberg.

Bahr-Mildenburg, Anna - "Tristan und Isolde - Vollständige Regiebearbeitung sämtlicher Partien mit Notenbeispielen" Musikwissenschaftlicher Verlag Leipzig/Wien, 1936

 

 

 

Die "Hochdramatische" Stimme oder, was eine "echte" Isolde ausmacht

 

Um die Isolde zu singen, wird von der Sängerin eine "Hoch-dramatische" Stimme verlangt: d.h. eine Stimme, deren Klang dramatisch klingt, die aber sowohl eine sichere, leuchtende Höhe (bis zum hohen"C"), wie auch eine ausgeprägte, gut geformte Mittellage (und daher etwas "mezzo") aufweist, mit ausgebildetem Brustregister und Tiefe, großer Durchschlagskraft und Volumen, und auch im piano zu singen vermag. Die Partie kann nur bewältigt werden, so wie sie Wagner gemeint und komponiert hat, wenn "die Kuppel der Höhe von kräftigen Säulen getragen wird" (Fischer, 1993, S. 264). Wir sollten uns daran erinnern, daß Wagner in einem Brief des Jahres 1858 unmißverständlich sagte: "Ich brauche, namentlich zur Isolde, Stimme, Stimme, Stimme!" Mehr als nur Sänger, Wagner verlangte "dramatische Darsteller", die imstande waren, gestützt auf das Modell des italienischen Bel-Canto-Gesangs, mit der deutschen Sprache singschauspielierisch eine Figur zu kreieren. "Die Gesangstimme ist ein Schloss, das in der Luft gebaut wird. Die Imagination ist dessen Architekt, Die Nerven führen die Absichten aus. Die Muskeln sind die Arbeiter. Die Seele bewohnte es." (Lamperti, G.B. in "Vokale Weisheit", zitiert in Kesting 1998, S.112)

"Das Mißverständnis über den rechten Gesangsvortrag bei Wagner beginnt schon dort, wo von einem spezifischen Wagner-Gesang gesprochen wird. Es gibt nur eine einzige Grundlage für das Singen - ganz gleich, was gesungen wird -, nämmlich korrekte Atmung, freie Tonemission ohne Anspannung zusätzlicher Muskeln, reine Aussprache der Vokale und klangvolle Formung der Konsonanten unter ganz besonderer Berücksichtigung der (vokalischen) Nasale und Liquide. Nur muß das technisch korrekte Singen in den Dienst von Wagners Vortragsabsichten gestellt werden. (...) von seinen dramatischen Darstellern verlangte Wagner zunächst einmal bildungsfähiges Material für den ‚natürlichen Wortlaut' beim Vortrag. Dies zielt zum einem auf eine klare und saubere Aussprache (oder Artikulation), zum anderen auf die expressive Durchdringung des Ausgedrückten (oder Eloquenz) (...) Wagner wollte italienische Stimmbildung mit deutscher Vortragskunst verschmelzen." (Jürgen Kesting, 1993, S. 234-7)

"Die Interpretation ist der größte Feind der Technik" (Menuhin, Yehudi zitiert in Kesting 1998, S. 50)

"Die dramatische Qualität einer Stimme liegt nicht im Volumen, sondern in der Intensität der Schallkraft, und in dem, was der Komponist mit dem - durchaus zweideutigen - Worte ‚Gefühlserguß' bezeichnete. [Natürlich gibt es Stimmen, die von Natur aus dramatisch sind], doch in der Regel muß eine dramatische Stimme entwickelt werden. Entscheidend dabei sind Attacke, Intensität und Schalkraft. Die Behauptung, daß man mit einer großen, voluminösen Stimme nicht leise und lyrisch singen könne, ist falsch; vielmehr ist nur eine Stimme mit einem tragenden, leuchtenden, duftigen Piano überhaupt zur konzentrierten Klangentladung - zur ekstatischen Phonation - in der Lage. (...) Zum expressiven Singen gehören drei Elemente: vokales Agieren, musikalische Formung und Seelenausdruck. Das vokale Agieren zielt auf emphatische Wortbetonungen und die Färbungen des Tons. Die musikalische Formung (vor allem Rubato), um das Wechselspiel von Spannung und Entspannung zur Geltung zu bringen. Kaum zu definieren ist Seelenausdruck, allenfalls zu beschreiben mit poetischen Bildern. (...) Dramatisch ist nicht das Gewicht und das Volumen des Tons, sondern die Art des Vortrags..." (Jürgen Kesting, 1993, S. 238-9/959/427) Und damit zum letzten Stichwort: Energie-Konzentration. Entscheidend für die Tragfähigkeit und die Durchschlagskraft ist die Fokussierung der Stimme und der daraus entstehende Reichtum an Obertönen; das heißt, ohne Technik keine Isolde!!

Der hochdramatische Sopran sieht als die Krönung aller Wagnerschen Partien die der Isolde, und es läßt sich nicht wegdiskutieren, daß diese, fast noch mehr als die andere Hochdramatischen Partien wie z.B. die Brünnhilde in Götterdämmerung, ein Element des stimmlich Majestätischen, Grandiosen besitzen muß, eine Stimme wie es z.B. die unübertroffene Kirsten Flagstad besaß. Die längste Partie der Opernliteratur (deren ersten Akt so viele Takten beinhaltet wie die gesamte "Aida"!) soll von einer Stimme gesungen werden, die schön und wohltuend klingt - wie läßt sich sonst das fast fünfstündige Werk überstehen?

Die Stimme während der Pause zwischen dem 2. und 3. Akt, plus ca. 50 min "Tristan-Monolog" im 3. Akt, geschmeidig und richtig sitzend zu halten, stellt eine andere große Schwierigkeit dar, die dem Sopran dabei im Wege steht, einen schönen und guten Liebestod zu singen. Jess Thomas beschreibt: "Die Auftritt Isoldes erfolgt schon zu Beginn der Oper. Sie hat dann während des gesamten ersten Aktes reichlich zu tun ... (...) Die stimmlichen Anforderungen an Isolde (...) sind sicherlich jener an Tristan im dritten Akt gleichzusetzen, (...) Das Liebesduett mit Tristan [im zweiten Akt] muß durch kontrolliertes Piano, dramatisch klingende hohe C's und B's und eine dominierende, hochliegende Tessitura am Ende bestechen, die die echten Isolden von den mittelmäßigen unterscheidet. Aber das ist noch nicht genug, sie hat auch die Schwierigkeit zu überwinden, nach dem Ende des zweiten Aktes bis zu ihrem Auftritt im dritten Akt, in dem sie den himmlischen, aber von schwerem Orchester begleiteten Liebestod zu singen hat, die Pause über und noch 50 lange Minuten zu warten. Nach einer solch lang andauernden und schwierigen Anstrengung in den ersten beiden Akten und der langen Wartezeit im dritten Akt geschmeidig und richtig sitzend zu halten ist keine leichte Aufgabe. Wie wir Sänger sagen, kann die Stimme bis zu den Schuhen rutschen, und man hat es dann sehr schwer, die erhabenen, gloriosen Schlußphrasen zu singen. Ich habe Birgit [Nilsson] in der Pause zu dritten Akt oft in der benachbarten Garderobe Aufwärmeübungen singen gehört. Um für den dritten Akt in Schwung zu bleiben, sang sie Passagen aus der Koloraturarien der Königin der Nacht aus der Zauberflöte." (Jess Thomas, 1986, 460-1)

Und Frida Leiders Erkenntnis: "Je tiefer ich in das Wagnerfach eindrang, um so mehr mußte ich erkennen, welche ungeheuren Anforderungen Wagner an den Sänger stellt. Die hochdramatischen Rollen, die einen Umfang von zweieinhalb Oktaven haben, bedeuten eine große Strapazierung für die Stimme einer Sängerin; und alle Stimmlagen, die Wagner verlangt, stets volltönend zur Verfügung zu haben, erfordert eine umfassende Kenntnis der Gesangstechnik. Eine Zeitlang fühlte ich mich in der tieferen Lagen gar nicht wohl, und hier war es Professor Raatz-Brockmann, der mir aus seiner jahrelangen pädagogischen Erfahrung heraus den richtigen Weg wies. Die Mittellage, die ich von jeher ohne jedes Brustregister gesungen habe, wurde gar nicht angetastet. Er begann die Übungen mit dem tiefen C und zeigte mir einen weichen Brustton, den ich dann ohne Mühe in die tiefere Skala ziehen konnte. Ich hatte meine Tiefe bisher untermauert, wie er sich ausdrückte, also zu stark vom unteren Brustkorb herauf abgestüzt. Die Dynamik der tieferen Töne ohne jede Pressung war auf die Weise verblüffend, und unter kluger Mischung mit der Oberresonanz wurde meine Tiefe klingend und wohltönend." (Frida Leider, 1959, S. 75)

Zitate:

"Die Grundtechnik ist bei Belcanto und Wagner-Gesang dieselbe. Bei Wagner muß man allerdings den Turbo einschalten, bei Verdi wäre es tödlich. Zur Grundtechnik kommt ein bewußter Umgang mit klingenden Konsonanten wie M oder W, zum Beispiel bei dem Wort ‚Wonne'. Zudem kann ich mit der Farbe der Vokale spielen, ein fahles A oder ein warmes machen. Ich bereite mich jahrelang minutiös auf die Rollen vor; jedes Komma ist wichtig, nur so kann man den Kern des Satzes finden. (...) Bei Wagner muß man unterscheiden: Befindet man sich im emotionalen Teil, ist man der Geschichten-Erzähler, oder steht man kommentierend da, für das, was im Orchester geschieht. Diese Bereiche verlangen verschiedene Ausdrucksweisen." (Waltraud Meier, in Rondo n° 3/97)

"Etwas ist an meiner Stimme, was für Wagner bestimmt nicht schlecht ist: die Ruhe im Ton. Aber das ist für meine Begriffe keine Frage der Technik, sondern eine Frage des Stimmfaches. Ich finde, daß bei Wagner Worte und Töne immer ineinanderklingen sollten, da darf man gar nicht merken, wo das eine anfängt und das andere aufhört. Ich weiß immer nicht, wie ich mich ausdrücken soll, aber Sie wissen schon was ich meine: Es sollte nicht immer nach ‚Gesangston' klingen... Dieses gleichbleibende schnelle Vibrato - das braucht gar kein Tremolo zu sein -, das nimmt der Stimme den ureigensten Klang, und dadurch nimmt es auch eine ganze Dimension des Ausdrucks." (Martha Mödl, 1998, S. 87)

"Hochleistungssportler geraten gelegentlich an ihre Grenzen. Sänger auch? Ich rede jetzt mal nur vom hochdramatischen Fach. Da ist die ganze Stimmstruktur ja etwas schwerfälliger als zum Beispiel bei einem Koloratursopran oder einem lyrischen Sopran. Und natürlich kann es gefährlich werden, wenn man als lyrischer Sopran unbedingt diese großen hochdramatischen Partien singen will, aber das Instrument dazu nicht hat. Wenn man dann mit falsch eingesetzter Kraft an die Partie herangeht, dann kann die Stimme kaputtgehen. Das ist ein schmaler Grad. Ich sage immer, die Brünnhilde im Ring zu singen ist überhaupt nicht schädlich oder gefährlich, wenn man das Instrument dafür hat. Für mich persönlich war zum Beispiel die Dorabella, die ich relativ spät in meiner Entwicklung zu singen hatte, viel vertrackter. Man sagt ja immer, Mozart zu singen sei gesund. Für meine Stimme ist es nicht gesund, weil sie anders strukturiert ist. Ich sage, lieber zweimal hintereinander den Liebestod singen als einmal die zweite Dorabella-Arie. Ich kann ja nicht ein Stück, das für eine Flöte komponiert ist, auf einer Posaune blasen." (Schnaut, Grabriele in Bermbach/ Schreiber, 2000, S. 188)

"Wie ist es mit dem entgegengesetzten Fall: Wenn man sich vor lauter Identifikation mit einer tragischen Figur derart hineinsteigert, daß man weinen muß? Es gibt eine Theaterregel: Wenn man sich in eine Rolle so hineinwirft, daß man sich nur noch in Gefühlen wälzt und nicht mehr drübersteht - das kommt nicht über die Rampe! Eine gewisse - ich will nicht sagen: Routine -, aber eine gewisse Distanz gehört dazu. Es hat Kollegen gegeben, die haben, während sie gesungen haben, registriert, daß in der dritten Reihe ein Platz frei ist - und haben im selben Augenblick doch so intensiv ihre Rolle gestaltet, daß es den Zuschauer gepackt hat." (Martha Mödl in Gespräch mit Thomas Voigt, 1998, S. 154)

" Ein Tristan mußte alle Ekstasen der Leidenschaft, Verzweiflung und Tragik durchleben können, er mußte lernen, die Exzesse einer neuartigen Harmonik zu beherrschen, er mußte wissend und wollend zugrunde gehen. Tristan war und ist eine Rolle, die den Sänger an die Grenzen seiner selbst führt, die ihn mit Elementargewalt dazu zwingt, in einer Konfliktsituation Ehebruch, Verrat und schließlich Todessehnsucht aufs intensivste darzustellen und dazwischen in einer traumhaften Sommernacht die Liebe in lyrischer Weise zu besingen." (in Bary, R. v. Leipzig, 2000, S. 61)

"Denken Sie an die Dimensionen im ersten Akt: Isolde liebt Tristan seit dem ersten Blick, aber sie wurde von ihm gedemütigt. Sie ist zutiefst gekränkt, versucht die Liebe vergebens mit Haß zu verdrängen. Eine abgründig-tragische Situation. Der Trank hat symbolische Funktion, er bringt zum Vorschein, was im Unterbewußtsein vorhanden ist." (Nilsson, Birgit in Oper 1987/ Jahrbuch Opernwelt, S. 57)

 

 

Konserve: Der Liebestod als Aufnahme und die Schallplatten-Industrie - Zitate


"Die Platte verlangt, Dacapo für Adorno, ‚Konzentration auf die Musik' und den Verzicht auf jede Form von theatralischem Mummenschanz." (Kesting, Jürgen, 1986, S. 1246)

"Viel gefährlicher [als unverantwortliche Agenten] finde ich die Schallplattenfirmen. Man wird von denen verheizt, indem man von der Lustigen Witwe bis zur Isolde alles aufnehmen muß." (Leonie Rysanek, in Scholz, 1999, S. 192)

"Walter Legge [Plattenproduzent] sagte am Ende seines Lebens resigniert, daß er eine Ring-Aufnahme auch deshalb nicht in Betracht bezogen habe. Weil ihm nicht die Sänger zur Verfügung standen, die seiner Vorstellung hätten gerecht werden können. Es ist gewiß kein Zufall, daß unter seinen vielen großen Produktionen nur eine einzige Wagner-Aufnahme ist: Doch sangen im Tristan mit Flagstad und Suthaus gleichsam Heroen der Vorzeit." (Kesting, Jürgen 1986, S. 1247)

" ... wenn diejenigen, die sie (Sigrid Onégin) kannten und liebten, es nicht fassen wollen, daß ihre Stimme für immer verklungen sein soll, dann tönt ihnen wohl manchmal aus jenen Dokumenten der Runen und Rillen, die eine wundersame Technik uns schuf, ihre Stimme wieder und gemahnt sie an die Vergänglichkeit alles Menschlichen, aber auch an dessen Wiederauferstehung zu denken, in Dankbarkeit an die Errungenschaften des menschlichen Geistes, der unseren Augen, Ohren und Herzen die Menschen, die uns teuer waren, zurückbringt, gleich als weilten sie aufs neue unter uns." (Penzolt, Fritz über seine Frau Sigrid Onégin, 1953, S. 334)

"Ich habe die Aufnahme nie gehört. (...) Ich wollte nicht. Irgendwie tut mir's weh. Ich bin beim Singen sehr mit dem Gefühl dabei. Im zweiten Akt Tristan in Bayreuth, wenn der Ludwig Weber die Anklage des Königs Marke sang, das war so unglaublich schön, da sind uns beide die Tränen geflossen, oder der Vinay, wie der damals den Tristan gesungen hat. Wissen Sie, es ist so schrecklich, daß das alles so vorbeigeht. Sie haben ja keinen Begriff, wieviel Leben im Singen drin ist, wieviel Herz, wieviel Gefühl, wieviel Angst, wieviel Aufregung. Ein ganzes Leben liegt in so einer Stimme drin, und ich soll das jetzt so quasi unbeteiligt abhören. Mir zerreißt's das Herz. Ich schalte aus, tu's weg. Ich kann es nicht." (Malaniuk, Ira in Interview an Asche, G. in "Oper 1981" Jahrbuch Opernwelt, S. 30)