Liebestod

"Wie leblos ist sie an der Leiche Tristans hingesunken. Ihr Körper liegt wie nach schweren Martern, erschöpft von Qualen, vernichtet, regungslos. Nur in der Seele bannt sie noch den Aufruhr, in unendlichem Grauen vor der Leere des schauerlichen Ermattens, vor der entsetzlichen Wunschlosigkeit ihres zu Tode gehetzten Leibes. Hingeopfert hat sie ihm drei Akte lang, auf weglosen Wildnissen ihrer Leidenschaften zu Tode gepeitscht mit blutroten Wünschen. In den Winkeln ihrer Seele hatten sie gewartet und gelauert, verscheucht, verleugnet und gebändigt. (...) Schwerfällig mühte sich am Anfang die Stimme aus der Kehle, wie aus kalten, harten Einsamkeiten, erfroren und steif, unbeseelt und unbeseelend rang sie sich heraus. Der Frau schauderte es vor den gehaltlosen, armseligen Tönen, - ihr Widerstand zerbrach daran und sie sperrte ihre Seele weit, weit aus und nun begannen die Töne zu glühen und zu lodern und rotgelbe Flammen flackerten heraus! Sie wurden zu gellenden Schreien des Jammers, zu überseligen Hymnen der Lust, zu trunkenem Sehnsuchtsgestammel! Ein Singen todmüden Lebens und lachenden Sterbens. (...) Der Vorhang fällt. Vom Schmerzenslager springt vergnügt und erlöst ihr Partner. Klein und verschwitzt steht er, schüttelt und reckt sich und kann's nicht erwarten, bis er vor das Publikum darf. Und er dienert und nickt zu Bekannten hin, spricht dabei auf die Sängerin ein, fragte sie, wie er disponiert war, und schimpft auf den Souffleur, der ihm schlecht souffliert hat. Und sie schüttelt sich im Schrecken des Erwachens! Zehnmal muß sie in ihrem schleppenden weißen Gewand vor die klatschenden Menschen und immer wieder verzieht sich ihr blutleeres Gesicht zu einem mühseligen Grinsen, bis es ihr endlich bleibt, und auf ihrem entfärbten, leise geöffneten Mund zu Grimasse erstarrt. So geht sie hin und her - immer stockender, schwerfälliger. Der weiße Schleier wird ihr allmählich zu Last, die roten Haarmassen pressen ihr schmerzend den Kopf, das luftige, wehende Gewand scheint ihr bleiern den Gang zu hemmen und die Augen schließen sich schmerzhaft vor dem grellen Rampenlicht. Dann sitzt sie in ihrer Garderobe. Ein ausdrucksloses, verkümmertes Gesicht sieht ihr aus dem Spiegel entgegen. Glanzlos liegen die Augen unter schweren Lidern - alle Lust und alles Weh kauert verscheucht in den herabgezogenen Mundwinkeln. Die graue Verlassenheit und Verwüstung eines Tanzbodens fällt ihr ein, in der Früh nach dem nächtlichen Feste ‚der öde Tag'!"

(Anna Bahr-Mildenburg 1921, S. 228-30)