"[1876 in Bayreuth] Liszt entzückte uns viele Abende; stets gütig und liebeswürdig, setzte er sich fast allabendlich ans Klavier und spielte herrlich. (...) Etwas ähnlich heiliges leisteten wir uns oben in der kleinen Restauration an der linken Seite vor dem Theater. Dort aßen wir zu Nacht, wenn wir Proben gehabt hatten. In unser aller Herzen wohnte schon der Tristan, der eben in Berlin einstudiert worden war und den uns Mottl, so oft es nur ging, vorspielte. Sobald das Abendessen zu Ende war, setzten wir uns auf die kleine Veranda, schoben das Pianino auf die Veranda, löschten die Gasflammen - um mit Wagner zu reden, die ‚Zünde' - aus, und nun spielte und sang uns Mottl mit kleiner, aber sehr lieber Stimme den ganzen Tristan vor. Wir konnten gar nicht genug bekommen, und damals entstand der Wunsch in mir: einmal die Isolde singen, dann sterben. Etwas höheres gab es gar nicht für mich, für uns, die wir zuhörten. Mottl sang entzückend, er veranschaulichte die Musik so prachtvoll, wir waren ganz verloren in dem Genuß. Welche Stunden, welche Weihe! Auch wir waren losgelöst von aller Welt - der Zauber wirkte fast übermenschlich."

(Lehmann, Lilli 1897, S. 10-11)