"Gibt es Partien, von denen Sie heute sagen würden, ‚Schade, daß ich sie nicht gesungen habe'?

Ja, die Isolde! Ich hatte sie ja fertig studiert. Ich sollte sie machen mit Carlos Kleiber 1969 in Stuttgart. Nun, ich kam gerade in New York an, wo ich in einer Neuinszenierung des Rosenkavalier zu singen hatte. Karl Böhm, mein musikalischer Ziehvater, der Wind davon bekommen hatte (so etwas läßt sich ja nie Geheim halten), sollte dirigieren, stürzte auf mich zu und rief mir empört zu: ‚Was höre ich: Du lernst die Isolde? Unmöglich, Du bist im Leben keine Isolde, Du mit deinen hohen Tönen! Bei der Isolde ist alles in der Mittellage, Du wirst dir deine Stimme ruinieren, du wirst keine Kaiserin mehr singen können!' Er hat mich so narrisch gemacht, daß ich heimgegangen bin in mein Apartment und drei Mal hintereinander nur mit Stichworten am Klavier die Partie durchgesungen habe. Natürlich war ich danach stockheiser. In meinem Entsetzen bin ich zu meinem Halsarzt gegangen, der mir auch dringend riet, die Isolde sein zu lassen. Es war natürlich eine Dummheit. Und doch glaube ich, daß ich mir mit der Isolde vielleicht gar nicht so weh getan hätte, stimmlich. Aber ich habe die Rolle aufgegeben, noch bevor ich sie je auf der Bühne sang, und eigentlich bereue ich es auch nicht. Es mußte so sein!"

(Leonie Rysanek, in Scholz 1999, S. 193)