Reicher-Kindermann, Hedwig, Mezzosopran/Sopran, * 15.7.1853 München,
2.6.1883 Triest; Tochter des berühmten Baritons und Wagnersängers
August Kindermann (1817-91), schlug wie ihre Schwestern Marie Kindermann
und Franziska Kindermann und ihr Bruder August Kindermann jr. die Sängerlaufbahn
ein. Sie studierte bei ihrem Vater sowie in Wien und Hamburg. Sie fing
ihre Bühnentätigkeit als Choristin an der Hofoper von München
an und debütierte dann 1871 als Solistin am Hoftheater von Karlsruhe.
Im gleichen Jahr hatte sie ihren ersten aufsehenerregenden Erfolg an der
Münchner Hofoper als Gräfin im »Wildschütz«
von Lortzing und blieb dort bis 1877. 1875 hatte sie auch große
Erfolge als Operettensängerin am Theater am Gärtnerplatz in
München, wo sie den Orlowsky in der Münchner Premiere der »Fledermaus«
sang. In Berlin gastierte sie als Pamina in der »Zauberflöte«
und als Agathe im »Freischütz«. 1877 sang sie als Antrittsrolle
am Stadttheater (Opernhaus) von Hamburg den Orpheus von Gluck, in Leipzig
die Fricka im Nibelungenring (die sie 1881 am Berliner Victoria-Theater
unter Angelo Neumann wiederholte), 1882 die Isolde in der Leipziger Premiere
des »Tristan«, dann auch die Ortrud im »Lohengrin«
und die Eglantine in »Euryanthe« von Weber.. Bei den ersten
Bayreuther Festspielen wirkte sie in der Uraufführung des gesamten
Ring-Zyklus (13.-17.8.1876) in den Partien der Erda (in der sie für
die erkrankte Luise Jaide einsprang) und der Grimgerde mit. 1877-78 sang
sie am Stadttheater (Opernhaus) von Hamburg. 1878-80 war sie an der Wiener
Hofoper tätig, wo sie vornehmlich das italienische Repertoire sang;
auch an der Berliner Hofoper und am Hoftheater von Wiesbaden trat sie
sehr erfolgreich auf. 1880 kam sie nach Leipzig und wurde von Angelo Neumann
für sein reisendes Wagner-Theater verpflichtet, mit dem sie große
Gastspielreisen durch Europa unternahm. 1882 wirkte sie am Her Majesty's
Theatre London mit diesem Ensemble, dessen eigentliche Primadonna sie
war, in der ersten englischen Gesamtaufführung des Ring-Zyklus in
der Partie der Fricka mit. Sie ging dann zum Sopranfach über und
wurde in hochdramatischen und Wagner- Partien, vor allem als Isolde im
»Tristan« und als Brünnhilde im Nibelungenring, berühmt.
Die zuletzt genannte Partie sang sie bei der zweiten vollständigen
Aufführung des Ring-Zyklus in London 1882. Ihr Repertoire enthielt
sowohl Partien aus dem Mezzosopran- wie aus dem dramatischen Sopranfach
und besaß daher einen großen Umfang. Als ihre bedeutendsten
Kreationen galten der Titelheld im »Orpheus« von Gluck, die
Fides im »Propheten« von Meyerbeer, die Leonore im »Fidelio«,
die Agathe im »Freischütz«, die Pamina in der »Zauberflöte«,
die Brünnhilde und die Fricka in den Opern des Ring-Zyklus. Die große
Künstlerin, die mit dem Schauspieler Emanuel Reicher (1849-1924)
verheiratet war, erkrankte im Sommer 1883 während einer abermaligen
Gastspielreise mit Neumanns Wagnerbühne plötzlich schwer. Sie
suchte Heilung in Italien, starb aber wenige Wochen später, erst
dreißig Jahre alt, in Triest.
Sie besaß eine große, zu erregender Dramatik fähige
Stimme; Neumann nannte sie »die größte dramatische Sängerin
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«.
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