"Kurz vor Ende meiner zweiten Saison [1918] wurde als besonderes künstlerisches Ereignis in Rostock der Tristan gegeben. Ich hatte das Werk Jahre zuvor einmal in der Berliner Kroll-Oper gehört, war aber damals zu jung, um es musikalisch und inhaltlich ganz erfassen zu können. Jetzt also sollte ich den Tristan in Rostock mit illustren Gästen erleben! Natürlich bot mir Direktor Ockert die Partie der Isolde an, da ich sie fertig studiert hatte. Aber Vorsicht und Achtung vor dem Werk ließen mich vor einem solchen Wagnis zurückschrecken. Die Isolde sang Paula Ucko-Hüsgen, die Wagner-Heroine des Schweriner Hoftheaters; an den Sänger des Tristan kann ich mich nicht mehr erinnern. Am Pult saß der Erste Kapellmeister Hüsgen, ein großer Wagnerianer. Ich ging in beide Aufführungen. Unbeschreiblich, was sich in meinem Innern vollzog. Die nebelhaften Vorstellungen, die ich von der Tristan-Musik gehabt hatte, begannen sich langsam zu lichten. War mein erster Eindruck seinerzeit der einer chaotischer und aufwühlenden Musik gewesen, so begann mein musikalisches Empfinden jetzt die einzelnen Themen klar zu erkennen, die die gesamte Ausdrucksmöglichkeit Richard Wagners von höchster Lyrik über stärkste Dramatik bis zu Todessehnsucht umfassen. Magisch zog mich diese Musik in ihren Bann, und ich hatte die visionäre Vorstellung, daß mein künstlerisches Streben in der Partie der Isolde seine Vollendung finden würde."

(Leider, Frida 1959, S. 47)